Verweigerung, Flucht und Widerstand
Allgemein
Für Zwangsarbeiter bestand die Arbeit aus „Zwang, Demütigung und Lebensgefahr und jeder Handgriff half überdies mit, den Krieg zu verlängern.“1
Im Allgemeinen war für Zwangsarbeiter Widerstand zu leisten, die Arbeit zu verweigern oder zu flüchten ein sehr riskantes und gefährliches Vorhaben. Da sie ständig von der Gestapo oder anderen Vorgesetzen überwacht wurden und auch nur bei der kleinsten Auffälligkeit Gefahr liefen angeklagt und bestraft zu werden, konnte es sich bei den bekannten Fällen von Verweigerung, Flucht und Widerstand wahrscheinlich nur um einen Akt der Verzweiflung oder aus Protest gegen die schlimmen Lebens und Arbeitsbedingungen handeln.
Verweigerung
Wie Ulrich Herbert schreibt, sind die häufigsten Arten der Arbeitsverweigerung vor allem die so genannte „Arbeitsbummelei“, also das langsamere Arbeiten, sowie die Vortäuschungen von Krankheiten.2 Zudem kam es vor, dass die Zwangsarbeiter Pausen einlegten, um Kraft zu sparen. Dies war allerdings nur möglich, wenn sie unbeaufsichtigt waren, was relativ selten der Fall war. Außerdem passierte es, dass die Arbeiter absichtlich ungenau arbeiteten, oder Fehler bei der Montage, vorzugsweise an Granaten und Bomben, machten und so für einen erhöhten Ausschuss und Verschleiß sorgten.3
Manche Zwangsarbeiter gingen soweit, dass sie sich selbst Verletzungen zufügten, um sich bei ihrem Arbeitgeber krank zu melden und nicht arbeiten mussten. Dies war im Allgemeinen weniger riskant als einfach nicht zur Arbeit zu erscheinen. Den Arbeitgebern dagegen schadete der Verlust von Arbeitskräften und so wurden bei vielen Unternehmen Betriebsärzte eingestellt, die meistens keinen Grund für eine Krankschreibung sahen und somit die vermeintlich Erkrankten wieder zurück an die Arbeit schickten.
Einige polnische Zwangsarbeiter im Kreis Freiburg weigerten sich am Sonntag zu arbeiten, da sie sich an ihren katholischen Arbeitgebern orientierten.4
Die Konsequenzen, die sich daraus ergaben, wenn man bei einer Arbeitsverweigerung entdeckt wurde, endeten sehr häufig tödlich. Albert Speer hatte angeordnet die „Bummelantenfrage“ damit zu klären, die Beschuldigten in KZ-Betriebe zu stecken.5
In der Landwirtschaft, also meistens im ländlichen Bereich, kümmerten sich normalerweise die Vorgesetzen selbst um die Bestrafung, was entweder zu Prügel oder kleineren Essensrationen führte. In einigen Fällen wurde ein „Arbeitsvertragsbruch“6 der Behörde gemeldet, was auf eine Anhörung mit Urteil hinauslief. Im Gegensatz zu den Westeuropäern wurde die Misshandlung oft direkt vom Arbeitgeber vorgenommen und nicht von den Behörden,7 da das Abhandenkommen ihrer Arbeitskraft sich als Schwierigkeit erwies.
So kümmerte sich die Gestapo, welche für ihre Gräueltaten bekannt war, um Delikte, die den Fremdarbeitern angehängt wurden.
Deshalb wurden die Angeklagten, je nach Schwere der Tat, entweder in Arbeitserziehungslager, sowie bei schwereren Anklagen in Konzentrationslager, eingewiesen, was den sicheren Tod zur Folge hatte.8
Flucht
Viele Zwangsarbeiter, besonders in Baden, nutzten die Nähe zu Frankreich und zur Schweiz zur Flucht. Im Gegensatz zu den Zivilarbeitern, die anfangs einen Heimaturlaub antreten konnten und dies oft als Fluchtmöglichkeit nutzten, hatten Zwangsarbeiter auf diese Weise keine Möglichkeiten zu flüchten. Die große Anzahl an flüchtigen Zivilarbeitern nahm so große Ausmaße an, dass die deutschen Behörden das Urlaubsrecht streichen ließen.
Jedoch ergab es auch für die Zwangsarbeiter Gelegenheiten zur Flucht, wie zum Beispiel im Erzbergwerk in Blumberg. Dort waren um die Jahreswende 1940/41 von 200 zugewiesenen polnischen Zwangsarbeitern 170 schnell wieder verschwunden.9
Ab 1942 kamen die Fluchtwellen zu einem so großen Höhepunkt, dass viele französische Zwangsarbeiter von Baden wegversetzt wurden, als Vorsorge vor weiteren Massenfluchten. Für Zwangsarbeiter anderer Länder war es kompliziert sich nach Frankreich abzusetzen, da sie normalerweise kein Französisch sprachen, sie sich also kaum verständigen konnten und somit keine französische Hilfe zu erwarten hatten. Im Gegensatz zu ihnen konnten viele Elsässer den flüchtigen Franzosen beim Untertauchen helfen.
Trotzdem waren es seit Ende 1943 Monat für Monat 45000 Zwangsarbeiter, die eine ungewisse Flucht ihrem augenblicklichen Schicksal vorzogen.10
Während der zweiten Kriegshälfte nahmen die Zahlen der flüchtigen Zwangsarbeiter zu. Die Gründe, warum sie sich auf dieses gefährliche Vorhaben einließen, sind nach wie vor die schlechten Lebensbedingungen und der ständige Überlebenskampf. Zudem flüchteten sie nicht ausschließlich deswegen, damit sie im Ausland untertauchen konnten, sondern auch, um von den Fabriken und den damit verbundenen unmenschlichen Behandlungen loszukommen.
Die große Anzahl an Flüchtigen bereitete den Behörden Probleme, wie sie wieder neue Arbeiter beschaffen könnten. Die meisten Flüchtigen, die bei ihrer Flucht aufgegriffen wurden, wurden nicht zurück an ihren alten Arbeitsplatz gebracht, sondern in die verschiedenen, nach Regionen aufgeteilten Sammellager. Von dort aus wurden sie wieder neuen Betrieben zugeordnet. Die Unternehmen waren gegen die kurzzeitige Unterbringung in den Lagern, sowie die Neueinteilung der Zwangsarbeiter, weil es ihrem Betrieb schadete. Das Freiburger Rüstungskommando kommentierte diese Beschwerden mit den Worten: „Polen gehen gerne durch, um hinterher in die Landwirtschaft zu kommen.“11 Durch die Uneinigkeiten der Dienstellen, Behörden und Unternehmen wurde angeordnet, dass die flüchtigen Zwangsarbeiter ab 1944 der Gestapo übergeben wurden.12
Dieser Vorgang nutzte der Arbeit der SS, die alle Flüchtigen in Arbeits- oder Konzentrationslager schickte, aber es war wiederum ein großer Nachteil für den Arbeitsmarkt in Baden, da die nötigen Arbeitskräfte fehlten. Die Zwangsarbeiter, die wegen „Arbeitsvertragsbruch“ und „unerlaubtes Verlassen des Arbeitsplatzes“13 verurteilt wurden und ihre Haft in den Arbeits- oder Konzentrationslagern ausgesessen hatten, waren meist in einem so schlechten Zustand, dass sie nicht sofort arbeiten konnten. Es kam vor, dass manchen von ihnen sich deswegen noch tagelang vor Schwäche an der Wand festhalten mussten.14
Widerstand
Das Wort Widerstand hat ein sehr breites Bedeutungsfeld und kann in mehrere so genannte „Schubladen“ hineingeschoben werden. Bei dem Widerstand von Zwangsarbeitern gibt es mehrer Auffassungen, wie dieser eingestuft werden sollte. Der Politologieprofessor Richard Löwenthal teilt den antitotalitären Widerstand in drei Grundformen ein. Er unterscheidet zwischen einer politischen Opposition, einer gesellschaftlichen Verweigerung und einer weltanschaulichen Dissidenz, also einer inneren Immigration.15
Die Auslöser und Gründe, warum Widerstand geleistet wurde, bilden vier verschiedene Widertandsstufen: Unzufriedenheit und Nichtanpassung, öffentlicher Protest sowie aktiver Widerstand.16
Die häufigsten Formen des Widerstandes von Zwangsarbeitern waren vor allem Sabotageakte, Streikaktionen, der Aufbau von organisierten Widerstandsgruppen, „deutschfeindliche Äußerungen“17, das Entfernen ihrer „P“- und „OST“- Zeichen auf der Kleidung oder das Verschweigen bestimmter Berufskenntnisse18, um so eine leichtere Arbeit zu erlangen.
Wie auch bei Fluchtversuchen, sind die Möglichkeiten, aktiven Widerstand zu leisten sehr gering, da die ständige Überwachung dies stark begrenzte.
Eine sehr riskante Art, sich am Widerstand zu beteiligen, waren Streikaktionen, die vor allem aus Empörung über die Behandlung und Lebensweise der Arbeiter stattfanden.
In diesem Gebiet wiesen die sowjetischen und an zweiter Stelle die polnischen Zwangsarbeiter die größte Aktivität auf. In der Zeit von Juni bis August 1942 wurden im Reich wegen Teilnahme an Streiks 68.746 Personen verhaftet, davon waren 38.460 sowjetische Bürger und 17.618 Polen. Insgesamt machten die sowjetischen und polnischen Arbeiter 81,6 % der Teilnehmer an Streikaktionen aus.19
Ebenfalls eine Form des Widerstands bildeten Sabotageakte, die sich aber vor allem in Baden, aber auch in anderen Regionen Deutschlands sehr gering hielten, vor allem auch deshalb, weil als Bestrafung normalerweise die Todesstrafe vorgesehen war. Jedoch stellte die Propaganda Arbeitsfehler oder ähnliches als Sabotage dar, was schlimme Folgen für die Zwangsarbeiter mit sich brachte.20 Außerdem sah der Sicherheitsdienst (SD) es als Sabotage an, wenn ein Pole den Trecker in den Graben fuhr21, oder ein Franzose bei einem deutschen Schlosser einen Maschinenteil ausbaute, während der Deutsche daran arbeitete.22 Oftmals wurden den Zwangsarbeitern auch Taten von der Gestapo unterstellt, auch wenn es noch so unwahrscheinlich schien, dass ein Zwangsarbeiter in der Lage dazu war, es gewesen zu sein.
Es stellte sich heraus, dass die Sabotageakte nur sehr selten aus deutsch-feindlicher Gesinnung heraus entstanden23, sondern dass es sich normalerweise um reine Verzweiflungsakte handelte.
Trotzdem wurden vielerorts Gestapobeamte als Aufseher eingesetzt, um jegliche Widerstandshandlungen zu unterbinden und für geordnetes und fehlerfreies Arbeiten am Arbeitsplatz zu sorgen.
Am seltensten vertreten war die Bildung von organisierten Gruppen für den Widerstand. Die wichtigste dieser Organisationen war die Brüderliche Vereinigung der Kriegsgefangenen (BSW), die Offiziere der Roten Armee Ende 1942 in einem Kriegsgefangenenlager in München gegründet hatten.24
Mit der Zeit bauten sich verschiedene Niederlassungen in verschiedenen Städten in Baden auf und so hatten die Organisation mehr Möglichkeiten ihren Plan, der den Sturz des NS- Regimes, Hilfe für die alliierten Truppen und Saborageakte25, beinhaltete. Jedoch bekam die Gestapo sehr bald von den Plänen Wind und setzte alles daran die Gruppe aufzulösen, was auch 1944 gelang. Die Mitglieder, die der Organisation angehörten, darunter viele Zivilarbeiter, wurden in Dachau und Mauthausen getötet.
Überall verstärkte sich, gegen Ende des Krieges, der Wille nach Aufstand, so zum Beispiel auch in Baden, wo, seit die Alliierten gelandet waren, mehrere Ausländer von der Gestapo verhaftet wurden, denen Arbeitsvertragsbruch, Wehrkraftsetzung, deutschfeindliche Äußerungen, Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation und dergleichen vorgeworfen wurden.26
Zusammenfassung
Dieser Artikel gibt Einblicke, wie schwer es für die in Deutschland eingesetzten Zwangsarbeiter war, sich bei den schlechten Lebensbedingungen und der oft brutalen Behandlung Aufmerksamkeit zu verschaffen und sich dagegen zu wehren.
Es zeigt, wie klein die Chance auf Verbesserung oder auf eine Fluchtmöglichkeit gewesen war. Eigentlich scheint es so fast unvorstellbar, wie einige es doch geschafft haben, der ständigen und gefährlichen Bewachung zum Trotz, zu flüchten und so zumindest eine minimale Hoffnung haben zu können, vielleicht wieder ins Heimatland zu gelangen und dort unterzutauchen. Aus den verschiedenen Quellen ist zu schließen, dass sich die Zwangsarbeiter der Gefahr, aufgegriffen und verhaftet zu werden, bewusst waren und trotzdem die Möglichkeit nicht unversucht lassen wollten, ihrem Schicksal zu entrinnen.
Im Falle einer Verhaftung eines Zwangsarbeiters, aus Gründen eines Vertragsbruches wegen Verweigerung, Flucht oder Widerstand, bedeutete dies entweder den sofortigen Tod, die Einweisung in ein Konzentrations- oder Arbeitserziehungslager oder, wenn der Arbeiter „Glück“ hatte die Bestrafung des eigenen Arbeitgebers, die normalerweise milder ausfielen, da der Verlust einer Arbeitskraft, den Aufwand machte, eine neue zu beschaffen.
So wurden die meisten verzweifelten Versuche der Zwangsarbeiter Widerstand zu leisten, von der Gestapo meistens brutal zerschlagen.
Wenn die Zwangsarbeiter in manchen seltenen Momenten unbeaufsichtigt waren, ergaben sich für sie Gelegenheiten für kurze Erholungspausen. Dies kam allerdings äußerst selten vor.
Und so mussten die meisten Zwangsarbeiter ihr Schicksal hinnehmen und sich mit der Hoffnung am Leben halten, irgendwann gerettet zu werden.
[1] Vgl. Boll Bernd, Zwangsarbeiter in Baden 1939-1945; S. 532
[2] Vgl. Herbert, Fremdarbeiter, 1999; S. 348
[3] Siehe Boll Bernd, Zwangsarbeiter in Baden 1939-1945; S. 532
[4] Vgl. Peter Roland, Rüstungspolitik in Baden- Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz
in einer Grenzregion im Zweiten Weltkrieg, S. 357
[5] Vgl. Besprechung der zentralen Planung vom 30.10.42; IMT, 1947, Bd. III,
Dok. US-179 (Urkunde R-124) S. 492
[6] Siehe Saldern Adelheid, Mittelstand, 1979, S. 180
[7] Vgl. Spanjer Rimco, Oudesluijs Diete, Meijer Johan (Hrsg.): Zur Arbeit
gezwungen, Zwangsarbeit in Deutschland 1940-1945; S.128
[8] Siehe Boll Bernd, Zwangsarbeiter in Baden 1939-1945; S. 532
[9] GLA, 309/1205; Lagebericht GSA Karlsruhe 28.8.1940 und 3.2.1941,
BA R7/464, Lagebericht OBA Karlsruhe, 12.10.1940, StA Freiburg,
Doggererz AG 2/9, 26.7.1940, 29.8.1940
[10] Herbert, Ulrich Fremdarbeiter 1985, S. 310
[11] Vgl. Peter Roland, Rüstungspolitik in Baden- Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz
in einer Grenzregion im Zweiten Weltkrieg, S. 361
[12] Vgl. Peter Roland, Rüstungspolitik in Baden- Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz
in einer Grenzregion im Zweiten Weltkrieg, S. 361
[13] Schminck-Gustavus, Christoph U. : Hungern für Hitler. Erinnerungen
polnischer Zwangsarbeiter im Deutschen Reich 1940-1945, Hamburg 1984
[14] Vgl. Lechner, Silvester (Hrsg.): Schönes schreckliches Ulm- 130 Berichte
ehemaliger polnischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in den Jahren 1940-1945 in die Region Ulm/Neu-Ulm verschleppt worden
waren. Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm, KZ-Gedenkstätte,
DZOK- Manuskripte 3, 1997
[15] Siehe Woock Joachim, Zwangsarbeit ausländischer Arbeitskräfte im
Regionalbereich Verden/Aller (1939-1945)
[16] Vgl. Gotto, Hockerts, Repgen, Herausforderung, 1980; S. 103 f.
[17] Vgl, Boll Bernd, Zwangsarbeiter in Baden 1939-1945; S. 533
[18] Vgl. Woock Joachim, Zwangsarbeit ausländischer Arbeitskräfte im
Regionalbereich Verden/Aller (1939-1945); Seite 202
[19] Archiwum Panstwowe Opole- Gauleitung Oberschlesien Nr. 1938;
BAK- R22/3375, R 41/268, R 58/190 und R 58/ 1030.
[20] Siehe Peter Roland, Rüstungspolitik in Baden- Kriegswirtschaft und
Arbeitseinsatz in einer Grenzregion im Zweiten Weltkrieg; S. 361
[21] Siehe Stimmung und Haltung der polnischen Zivilarbeiter im
Reich, Boberach, Meldungen, 1984, Bd. 13 (Mai 1943), S. 5228
[22] Vgl. Auswirkungen des Einsatzes französischer Zivilarbeitskräfte im
Reich, ebd., Bd. 16 (Januar 1964); S. 6278
[23] Vgl. IMT, 1947; Band XXI, S. 574
[24] Siehe Boll Bernd, Zwangsarbeiter in Baden 1939-1945; S. 533
[25] Vgl. Boll Bernd, Zwangsarbeiter in Baden 1939-1945; S. 533
[26] Lagebericht des Arbeitsamts Freiburg für August und September 1944:
StAF Bestand US- Gewahrsam, Nr. 68
Aufsätze
Aufsatz Nr.1
Allgemeine Einführung & Hintergründe zur Zwangsarbeit
Aufsatz Nr. 2
Die Lebensbedingungen der polnischen Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft
Aufstatz Nr.3
Verweigerung, Flucht und Widerstand
Aufsatz Nr.4
Das Ende der Zwangsarbeit in Baden und dem Schwarzwald
Aufsatz Nr.5
Entschädigung der Zwangsarbeiter nach der Zeit des deutschen National- sozialismus