Allgemeine Einführung & Hintergründe zur Zwangsarbeit
Definition Zwangsarbeit:
„Jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung von Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.“
(Definition der Internationalen Arbeiterorganisation (IAO) von 1930)1
In der Zeit des Nationalsozialismus waren in Deutschland 13,5 Millionen2 Ausländer als Zwangsarbeiter beschäftigt. Darunter ca. 1,9 Millionen3 Polen.
Zwangsarbeit im „Dritten Reich“ – wie kam es dazu?
Die Übernahme von Österreich und Tschechien gingen ohne größere Kämpfe vonstatten. Für den Krieg gegen Polen war erstmals der Einzug deutscher Arbeitnehmer zur Wehrmacht nötig. Diese Maßnahme hatte in Deutschland großen Arbeitermangel zur Folge.
Diese Arbeiter konnten weder durch freiwillige ausländische Arbeiter noch durch polnische Kriegsgefangene ersetzt werden. Deshalb folgte eine Zwangsrekrutierung der polnischen Zivilisten zum Arbeitsdienst in Deutschland.
Später waren auch Einsparungsbestrebungen von Firmen – Zwangsarbeiter bekamen, wenn überhaupt, sehr geringen Lohn – höhere Staatseinnahmen durch Verleihgebühren und „Ausländersonderabgaben“, die die Industrie bezahlen musste und der Vorsatz der Nationalsozialisten, die Feinde durch Arbeit zu vernichten, Gründe für die Zwangsarbeit.4
Wer arbeitete als Zwangsarbeiter?
Die Zwangsarbeiter kamen aus allen wehrmachtsbesetzten Ländern Europas wie beispielsweise Tschechien, Ungarn, Frankreich und den Niederlanden, sowie Russland und der Sowjetunion. Der Anteil der ausländischen Zivilisten betrug 5,7 Millionen.
Außerdem arbeiteten als Zwangsarbeiter Kriegsgefangene (1,9 Millionen), italienische Militärinternierte (ab Sommer 1943) (14.040), KZ-Häftlinge, sowie Angehörige anderer Parteien, Gestapo-Häftlinge, Angehörige „fremdrassiger“ Minderheiten, wie Juden, Sinti, Roma und Zeugen Jehovas, „Asoziale“, wie Obdachlose, Homosexuelle, geistig und körperlich Behinderte, Prostituierte, Alkoholkranke und Drogenabhängige.5
Wo arbeiteten die Zwangsarbeiter?
Die Zwangsarbeiter wurden im Bergbau, der Land- und Forstwirtschaft, der Verwaltung, im Handwerk, Infrastruktur und in Privathaushalten eingesetzt. Natürlich wurden auch in der Rüstungsindustrie in bekannten Firmen wie IG-Farben, Siemens, AEG, BMW, Daimler-Benz oder Krupp Zwangsarbeiter beschäftigt.6 Praktisch jeder große und kleine Betrieb hatte mindestens eine ausländische Arbeitskraft.7 Die Zwangarbeiter wurden durch die Arbeitsämter zugeteilt. Auch am Bau einiger öffentlicher monumentaler Bauprojekte, wie zum Beispiel das Nürnberger Parteitagsgelände, waren Zwangsarbeiter beteiligt.8
Die Arbeit der Zwangsarbeiter reicht von leichten Hilfstätigkeiten über schwere körperliche Arbeit bis hin zur „Vernichtung durch Arbeit“.9
Im Spätsommer 1944 war ein Viertel der Beschäftigten in der gesamten deutschen Wirtschaft Zwangsarbeiter.10
Wie wurden die Zwangsarbeiter „rekrutiert“?
Die Zwangsarbeiter wurden oft nach Geburtsjahrgängen ausgesucht. Aus Tschechien wurde fast der gesamte Geburtsjahrgang 1925 zur Zwangsarbeit eingezogen. 11 Teils mussten Kreis- und Gemeindeverwaltung durch Gestellungsquoten eine bestimmte Anzahl von Arbeitern zur Verfügung stellen. Oder die Arbeiter wurden durch Razzien einfach entführt.
Eine Jugoslawin erzählte in einem Interview: „Die Deutschen hatten uns eine Ausgangssperre gegeben. Als ich einmal noch nach 19 Uhr auf der Straße war, fingen sie mich. Ich musste unterschreiben „Ich bin gewillt, in Deutschland zu arbeiten“. Dann schob man mich in einen Lastwagen. ...“12
Doch nicht alle Zwangsarbeiter wurden zwangsrekrutiert, manche Arbeiter aus Westeuropa kamen auch freiwillig.13 Sie genossen besondere Privilegien (s.u.).
Oft wurden auch Kriegsgefangene in den Zivilstatus behoben, um die für sie geltenden Kriegsgefangenenschutzgesetze von der Genfer Konvention (1929) zu umgehen. Hier wurde massiv gegen das Völkerrecht verstoßen. Dies betraf besonders Kriegsgefangene aus Polen, der Sowjetunion und Frankreich sowie den italienischen Militärinternierten.14
Die Behandlung von Zwangsarbeitern
Die nationalistische Rassenideologie teilte die Zwangarbeiter in Ost- und West-Arbeiter. Zu den Ost-Arbeitern gehörten Russen, Ukrainer und Weißrussen. Die Polen wurden nicht als Ost-Arbeiter gesehen, sie bekamen einen extra Status. Zur Erkennung mussten die Zwangsarbeiter diskriminierende Abzeichen auf der rechten Brustseite jedes Kleidungsstückes tragen (siehe Bilder).
Da die Angehörigen der westlichen Länder nach nationalsozialistischem Denken einen höheren Rang einnahmen als die aus dem Osten, wurden die West-Arbeiter systematisch bevorzugt. Oft hatten sie Aufseherfunktionen über die Ost-Arbeiter.15
Die Zwangsarbeiter waren in Lagern, Notunterkünften und Konzentrationslagern untergebracht, in denen sehr schlechte hygienische Verhältnisse herrschten. Auch dort wurden Ost- und West-Arbeiter getrennt. Die West-Arbeiter hatten im Gegensatz zu den Ost-Arbeitern und Polen die Erlaubnis, das Lager zu verlassen. Außerdem hatten sie bessere Unterkünfte und Verpflegung. Dies änderte sich jedoch gegen Ende des Kriegs. Alle Zwangsarbeiter waren rechtlos. Wie man behandelt wurde, hing vom Arbeitgeber, dem Vorgesetzten, dem Lagerführer und den deutschen Kollegen ab. Wenn die Zwangsarbeiter schlecht behandelt wurden, konnten sie das nicht auf dem Rechtsweg einklagen. In den ländlichen Gebieten wurden die diskriminierenden Regeln und Vorgaben nicht so ernst genommen und die Zwangsarbeiter wurden oftmals in die Familie integriert.16
Das Besuchen von öffentlichen Veranstaltungen wie Kino, Theater und Gottesdiensten war stark eingeschränkt. Zwangsarbeiter durften nur eigens für sie ausgeschriebene Gaststätten besuchen, da man den Kontakt zu den Deutschen so gering wie möglich halten wollte.
Beziehungen und sexueller Kontakt zwischen Deutschen und Zwangsarbeitern waren strengstens verboten.17 Bei Verstößen oder Verdacht auf Geschlechtsverkehr drohten harte Strafen bis hin zum Tod.18
Schwangeren Zwangsarbeiterinnen wurde kein Mutterschutz gewährt. Sie musste bis kurz vor der Geburt und gleich danach wieder arbeiten. Außerdem wurde ihnen der Aufenthalt in deutschen Krankenhäusern verwehrt. Die Entbindungsheime für Zwangsarbeiterinnen waren sehr unhygienisch. Oft wurden ihnen die Kinder weggenommen und in „Ausländerkinder-Pflegestätten“ untergebracht, wo man die Kinder unbemerkt verhungern und verkümmern ließ.19
Aufgrund der schlechten medizinischen und hygienischen Versorgung, schlechter Ernährung und Misshandlungen starben viele Zwangsarbeiter.20 Bei Kriegsgefangenen, die nicht in den Zivilstatus überführt werden konnten, wurde oft die Essensration an die individuelle Arbeit gekoppelt.21 So war der Ansporn größer.
Zudem war der Lohn für ihrer harte Arbeit, wenn sie überhaupt einen bekamen, sehr niedrig. Bei Verstößen gegen die Arbeitsmoral, wie zum Beispiel lässigem Arbeiten und Aufmüpfigkeit, drohte „Zwangsarbeit in Konzentrationslagern“. Bei Sabotage folgte eine „mehrjährige Unterbringung in Arbeitserziehungslagern“.22 Außerdem durften die Zwangsarbeiter geschlagen werden.
Zudem wurden die Zwangsarbeiter angehalten sich „stets vor Augen zu halten, dass sie freiwillig zur Arbeit nach Deutschland gekommen sind“23.
Wer profitierte von den Zwangsarbeitern?
Von der Zwangsarbeit profitierten nicht nur große Firmen wie IG-Farben Siemens, AEG, BMW, Daimler-Benz oder Krupp durch Lohneinsparung, sondern auch die deutsch Bevölkerung.
Ein Großteil der Steuern wurde zu Gunsten der „arischen“ Bevölkerung den Zwangsarbeitern aufgebürdet. Diese mussten 70% ihres Lohnes an den deutschen Staat abgeben.24 Zudem waren ihre Sozialabgaben doppelt so hoch wie die der Deutschen. So trugen die Zwangsarbeiter alleine 25% der gesamten deutschen Sozialabgaben bei.25 Durch das „Zwangsarbeitersparen“, d.h. die Zwangsarbeiter wurden verpflichtet von ihrem Lohn einen gewissen Teil auf einem Sparbuch anzulegen, bekam der Staat ein unbefristeten Kredit.26 So wurde die Staatskasse aufgebessert, ohne die deutsche Bevölkerung mit hohen Abgaben zu belasten.
Was passierte mit den Zwangsarbeitern nach dem Krieg?
Die Alliierten befreiten nach Beendigung des Krieges ca. 11 Millionen (von anfangs 13,5 Millionen!) Zwangsarbeiter aus ihrer Situation. Doch damit war die Sache nicht erledigt. Als „Displaced Persons“ (Zivilpersonen, die sich wegen Kriegseinwirkungen außerhalb der nationalen Grenzen befinden (Definition in „Outline Plan for Refugees and Displaced Persons)27 wurden die ehemaligen Zwangsarbeiter in Lager auf deutschem Boden gebracht. Die Zwangsarbeiter aus westlichen alliierten Staaten konnten sehr schnell in ihre Heimatländer zurückkehren. Auch die Heimkehr von Zwangsarbeitern aus Nord-, West und Südeuropa ging verhältnismäßig schnell vonstatten.28 Nur die Rückkehr der osteuropäischen Zwangsarbeiter dauerte länger. Dies lag vor allem daran, dass die Sowjetunion erst auf die Repatriierung aller sowjetischen DP’s bestand, bevor andere durch sowjetisch besetzte Gebiete reisen durften.
Viele der sowjetischen „Heimkehrer“ hatten auch Angst vor Strafen in ihren Heimatländern, weil sie die Deutschen „unterstützt“ hatten. 157.000 ehemalige Zwangsarbeiter wurden wegen Verdacht auf gemeinsame Sache mit den Deutschen hingerichtet29. Andere wurden in ihrer Berufswahl diskriminiert. Viele Polen wollten auch nicht in ihre kommunistisch regierte Heimat zurück und widersetzten sich deshalb der Repatriierung.30 Es muss wie eine Rückkehr in eine andere Welt gewesen sein, nachdem man seine Heimat vor bis zu sechs Jahren verlassen hat. Eltern, Geschwister, Verwandte und Nachbarn sind möglicherweise im Krieg umgekommen. Alle hatten schreckliche Erlebnisse. Die Zwangsarbeiter hatten Angst vor der ungewissen Situation zu Hause.
Die ehemaligen Zwangsarbeiter heute
Nun ist das Ganze über 60 Jahre her. Doch trotzdem ist ein Teil ehemaligen Zwangsarbeiter traumatisiert und leidet bis heute an psychischen und physischen Folgeschäden der Zwangsarbeit.
Im Jahr 2000 waren ca. noch 2,4 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter am Leben.31 So lange hat es gedauert, bis Deutschland bereit war, eine zumindest finanzielle Unterstützung für die ehemaligen Zwangsarbeiter zu leisten.
Der Bundestag hat die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft sowie die Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ ins Leben gerufen. Diese soll eine Entschädigung der Zwangsarbeiter gewährleisten. Die Regierung hat 5,1 Milliarden Euro aufgebracht. Bis ins Jahr 2002 sind der Stiftung 6450 Unternehmen beigetreten, die die Stiftung auf freiwilliger Basis unterstützen.32
[1] Meyers Großes Taschenlexikon Band 24; 2., neu bearbeitete Auflage, Mannheim, Wien, Zürich 1987: BI-Taschenbuchverlag, S. 333
[2] http: www.zeitzeugen-dialog.de/?id40
[3] www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/geschichte/auslaendisch/polen
[4] www.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeit_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus
[5] www.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeit_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus
[6] http: www.zeitzeugen-dialog.de/?id40
[7] http://www.mdr.de/ahnen/archiv/5502776-hintergrund-5722740.html
[8] http: www.zeitzeugen-dialog.de/?id40
[9] http://www.mdr.de/ahnen/archiv/5502776-hintergrund-5722740.html
[10] www.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeit_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus
[11]http: www.zeitzeugen-dialog.de/?id40
[12] Geschichte und Geschehen Band 4; 1. Auflage; Stuttgart 1997:
Ernst Klett Verlag; S. 122
[13] http://www.mdr.de/ahnen/archiv/5502776-hintergrund-5722740.html
[14]www.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeit_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus
[15] Geschichte und Geschehen Band 4; 1. Auflage; Stuttgart 1997:
Ernst Klett Verlag; S. 119
[16] http//www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/zwangsarbeit/index
[17] http//www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/zwangsarbeit/index
[18] http://www.mdr.de/ahnen/archiv/5502776-hintergrund-5722740.html
[19] www.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeit_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus
[20] www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/geschichte/auslaendisch/polen
[21] www.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeit_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus
[22] www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/geschichte/auslaendisch/polen
[23] www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/geschichte/auslaendisch/polen
[24] http: www.zeitzeugen-dialog.de/?id40
[25] http: www.zeitzeugen-dialog.de/?id4
[26] http: www.zeitzeugen-dialog.de/?id40
[27] http://www.geschichtsatlas.de/~ga2/vzzdp.htm
[28] http://de.wikipedia.org/wiki/Displaced_Person
[29] Aufsatz von Ulrike Goeken-Haidl, Repatriierung in den Terror? Die Rückkehr
der sowjetischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in ihre
Heimat 1944-1956, in: Dachauer Hefte 16 (2000) „Zwangsarbeit“,
S. 190-209, hier: S. 203ff.
[30] http://de.wikipedia.org/wiki/Displaced_Person
[31] http: www.zeitzeugen-dialog.de/?id40
[32] http: www.zeitzeugen-dialog.de/?id40
Aufsätze
Aufsatz Nr.1
Allgemeine Einführung & Hintergründe zur Zwangsarbeit
Aufsatz Nr. 2
Die Lebensbedingungen der polnischen Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft
Aufstatz Nr.3
Verweigerung, Flucht und Widerstand
Aufsatz Nr.4
Das Ende der Zwangsarbeit in Baden und dem Schwarzwald
Aufsatz Nr.5
Entschädigung der Zwangsarbeiter nach der Zeit des deutschen National- sozialismus